Die psychosomatischen Profile der Fünf Wandlungsphasen


| Den Geist verwurzeln, Band 2
| Josef Viktor Müller


Dieses zweite Band von "Den Geist verwurzeln" beschreibt die psychosomatischen Profile der 5 Wandlungsphasen und beinhaltet:
  • Die Zahlensymbolik der chinesischen Medizin
  • Eine transkulturelle Darstellung seelischer Entwicklung.
  • Warum nur 5 Emotionen die gesamte Bandbreite psychischer Störungen beschreiben können.
  • Die Entfaltung der seelischen Qualitäten der 5 Wandlungsphasen als Fokus der Meridianbehandlung.
  • Die Behandlungsachsen und Behandlungsebenen für jeden der 12 Meridiane.
  • Das diagnostische Gespräch und die körperliche Untersuchung ausgerichtet auf die seelische-emotionale Ebene.
  • Ein integriertes Therapiekonzept, Punktkategorien und Behandlungssequenzen für die verschiedenen Ebenen von Erkrankungen.


VorwortMehr als zehn Jahre sind vergangen seit dem Erscheinen von Band I. Nach der Beschreibung des Geistes der Punkte folgt nun eine systematische Darstellung der Konstitutionstypen nach den Fünf Wandlungsphasen (5 WP). Dabei spielt das Konzept der Seele als Bindeglied zwischen Geist und Materie eine zentrale Rolle ungeachtet sinologischer Einwände, ob dieser Begriff überhaupt im Rahmen der chinesischen Medizin statthaft ist. Akademische Theorien eignen sich nicht, um lebendige Phänomene wie die Seele oder Qi zu erfassen, die erfahren und nicht analysiert werden wollen.

Die Forschungen der subatomaren Physik wie die Erkenntnisse der großen Weisheitslehren kommen gleichermaßen zum Schluss, dass ein rein materielles Weltbild nur in beschränkten Bereichen Gültigkeit hat. Die Grundlagen der klassisch chinesischen Medizin wurzeln im Formlosen/Wu, das nur zusammen mit der Form/You lebensfördernd ist. Bleiben beide Bereiche getrennt, so entsteht Spaltung von Körper und Geist durch körperfeindliche Spiritualität oder geistlosen Materialismus. Das Konzept von Qi als Mittler zwischen beiden Welten überschneidet sich mit dem Konzept der Seele – beide haben Anteile an der Welt des Geistes und an der Welt der Materie. Beide sind nicht greifbar, obwohl sie greifbare Wirkungen erzeugen. Damit gleichen beide den Wellikeln der Quantenphysik. Und schließlich kann Materie als in unterschiedlichen Graden beseelt betrachtet werden, ähnlich dem Konzept des Dao De Jing, nach dem die Vielfalt der Schöpfung auf unterschiedlichen Graden der Verdichtung von Qi beruht. Blickt man von einem rein an Fakten orientierten Standpunkt auf diese Dimension der chinesischen Medizin, die von Geist über Qi zur Materie reicht, so ist das Unmessbare nicht wirklich und die drei Ebenen Himmel, Erde, Mensch kollabieren zu einem entseelten Objekt. Dies kann als extremes Ausschwingen des Pendels in die andere Richtung verstanden werden, das auf die ebenso extreme Entwertung der materiellen Welt durch die christliche Theologie folgte.

Bei beiden Extremen handelt es sich um Glaubensbekenntnisse, denn ebenso wie die Theologie lässt der wissenschaftliche Monotheismus nichts zu, was seine Dogmen in Frage stellt. Beide Glaubensbekenntnisse weigern sich empirische Erkenntnisse, die ihr Weltbild sprengen, zur Kenntnis zu nehmen und beide operieren mit Angst. Dies wird besonders deutlich an der so genannten wissenschaftlichen Forschung, die mit Re-search immer wieder die gleichen Resultate produziert, welche auf dem Gebiet der Medizin und der Statistik den Eindruck erwecken, dass Menschen bezüglich ihrer Gesundheit Kräften jenseits ihrer Kontrolle ausgeliefert scheinen – seien es degenerative Alterserkrankungen oder familiäre und soziale Strukturen. Diese Sichtweise ist genauso entmächtigend wie das drohende Strafgericht am jüngsten Tag, sie lässt Menschen zu Opfern werden, die ihr Seelenheil religiösen und ihren Körper wissenschaftlichen Autoritäten anvertrauen müssen, um gerettet zu werden.
Die nächste kopernikanische Wende steht bevor, in der sich die ausschließenden Standpunkte von Wissenschaft und Spiritualität aufeinander zu bewegen, sodass die innere Welt von subjektiver Erfahrung und die äußere Welt der objektiven Fakten gleichermaßen als Realitäten anerkannt werden. Der Physiker John Wheeler, ein Kollege Einsteins, deutet dies an, wenn er von einem Universum der Teilhabe spricht. Darin fasst er die Erkenntnisse der Quantenphysik zusammen, die das, was auf der physischen Ebene geschieht, als mitbestimmt durch unsere inneren Überzeugungen ansieht. Aus dem nicht greifbaren Bereich unserer inneren Haltungen – bewusst oder unbewusst – wird die äußere Realität erzeugt in den Worten des Dao De Jing: „Das Formlose ist die Mutter der Form“. Dieses Weltbild sieht den Menschen als Mitschöpfer von Realität im Guten wie im Schlechten und ist im Ausruf Hiobs verdichtet: „Was ich befürchtet habe, ist über mich gekommen“.

Das Vermögen der Akupunktur, destruktive in konstruktive Überzeugungen umzuwandeln, wird im Namen für die Nadel Ling Shu, Drehpunkt der Seele, ausgedrückt. Letztlich gibt es nur zwei grundlegende Ausrichtungen, die von Angst oder von Freude. Alles was die grundlegende Einheit von Geist und Materie trennt, sei es die Vorstellung von der Sündhaftigkeit des irdischen Daseins oder der vermeintliche Irrglaube an eine geistige Welt, erzeugt Angst. Letztlich geht es um Verbindung zwischen beiden Realitäten, die ein Gefühl von Freude, des Einsseins, des Bezogenseins von Gegensätzen erzeugt. Der einzige Ort, an dem dieses Paradox möglich ist, ist das menschliche Herz, denn nur hier kann man in der Welt zuhause sein ohne ganz von dieser Welt zu sein. Daher spielt die Ausrichtung des Herzens für Überzeugungen eine so große Rolle und daher enthalten alle chinesischen Schriftzeichen für die Emotionen das Herz-Radikal. Und daher ist das Herz auch der Ort, von dem aus die Akupunkturpunkte zur Resonanz gebracht werden. Es gleicht dem Einstimmen eines Instrumentes vom Misston der Angst zur Harmonie der Freude der Einheit. Deswegen geht die Kultivierung des Herzens als leerer Raum, der erfüllt werden kann, wovon wir überzeugt sind, weit über den Bereich des analytischen Wissens hinaus, obwohl es ihn mit einbezieht. In den Worten Max Plancks, dem Vater der Quantenphysik:

„Als Wissenschaftler, der sein ganzes Leben der Erforschung von Materie gewidmet hat, bin ich frei vom Verdacht ein Träumer zu sein … und daher erkläre ich nach der Erforschung der atomaren Strukturen … es gibt keine Materie an sich … Alle Materie entsteht und wird aufrechterhalten von einer einzigen Kraft … Das Wahre und Wirkliche ist nicht die sichtbare und sterbliche Materie, sondern der unsichtbare und unsterbliche Geist“.

Solche beinahe ekstatischen Äußerungen finden sich immer wieder bei den großen Wissens-Schaffern der neuen Physik, deren Konzepte sich weitaus besser eignen, die Wirkweise von Meridianen (oder der Homöopathie oder Spagyrik) zu erklären als randomisierte Doppelblindstudien. Mit Letzteren wird die Beziehung zwischen den Welten, die die klassische chinesische Medizin herzustellen versucht, schlichtweg ignoriert. Krankheit und Gesundheit werden an statistische Durchschnittswerte gekoppelt statt an die Diagnose darüber, wie gut die Welt des Geistes und die der Materie in einer Person aufeinander bezogen sind. Daher bezeichnet Ken Wilber die Versöhnung von Wissenschaft und Spiritualität als das dringendste Problem unserer Welt. Dies gelingt nur durch search – Suche, nicht durch Research, Reproduzieren, durch ständiges Wiederholen der ewig gleichen nicht hinterfragten Realitätsmodelle.
An dieser Stelle sei meinen großen Vorbildern gedankt, die mich die lebendige Realität von Qi und Seele erfahren ließen. An erster Stelle J.R. Worsley, der in einer Zeit des gröbsten Materialismus die geistige Dimension der Chinesischen Medizin am Leben erhalten hat. Dem Sufi Lehrer und Meister Pir Vilagat Inayat Khan, dessen lebendiges Beispiel Zeugnis davon gab, dass Menschen Wesen aus Licht sind. Und seinem Stellvertreter Thomas Atun O’Kane in dessen Gegenwart und durch dessen Lehren die transformierende Ausstrahlung des Herzen erfahrbar wird.

| Josef Viktor Müller, Frühjahr 2012

Verlag Müller & Steinicke München, 2012
ISBN 978-3-87569-207-5